Die Kantorei Solothurn ist der jüngste Neuzugang beim Solothurner Kantonal-Gesangverein: www.kantorei-solothurn.ch


Text von Gundi Klemm (Solothurner Zeitung)
Foto aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt

In ergreifender Innerlichkeit: Kühn und mutig interpretierte die Kantorei Solothurn die Passionsmusik

Mit der dramatischen Passionsmusik von Heinrich Schütz bot die Kantorei Solothurn an vier Orten tief berührende Gestaltungen der Leidensgeschichte Jesu.

Der von 1585 bis 1672 lebende Heinrich Schütz verwandte – inspiriert durch die italienischen Meister Gabrieli und Monteverdi – kühne Mittel der Komposition. Er verband die dramatisierende Musik mit der Innerlichkeit der Passionsgeschichte in deutscher Sprache. Seine als Spätwerk mit 80 Jahren geschriebene Johannespassion verzichtete gemäss Verordnung der vom ihm geleiteten Dresdner Hofkapelle auf instrumentale Begleitung der A-cappella-Kunst.

Ebenso kühn und mutig wie damals Schütz umfasste und interpretierte nun aber die Kantorei Solothurn unter der Leitung von Markus Cslovjecsek diese Passionsmusik unter dem Titel «Schütz reloaded» mit kontrastreichen Improvisationen für Klavier, Schlagzeug und Kontrabass.

Die Instrumentalisten Daniel McAlavey, Martin Wyss und Michael Cina schufen mit Formen aus dem Freejazz, mit zeitgenössischer Melodik und Rhythmik eine packende Verbindung der frühbarocken Komposition mit unserer heutigen Zeit. Sie gaben Stimmungen Raum und erweiterten so die Wirkung dieses wortgestützten Werks.

Erschütternde Zeitlosigkeit

Erzählt wird die Leidensgeschichte Jesu, die Verleugnung durch Petrus, der Zwiespalt, in dem sich der römische Statthalter Pilatus befand, die permanente und sprachgewaltige Beeinflussung durch die Priesterschaft und das Verhalten des durch die Propaganda aufgehetzten Volkes. Im Mitdenken des Publikums war der Sprung in die Gegenwart zum Krieg in der Ukraine mit den höchst zweifelhaften «Wahrheiten» der Invasionsarmee nicht weit.

Hier wie damals in Jerusalem wird deutlich, was polemische Meinungsmacher anrichten können. Als aktuelle Komponente bieten sich auch manipulative, demagogische Kräfte rund um die Pandemie an. Die Aufführung, die zu Tränen rühren konnte, erhielt damit eine erschütternde Zeitlosigkeit.

«Gib uns Frieden, Herr»

Als Evangelist führte Joel Morand mit fein moduliertem Tenor souverän durch die Szenerie, in der Andreas Allemann als Pilatus und Cyril Baratoff als Jesus sowie mit kleinen solistischen Beiträgen Christine Simon, Daniel Bürgi und Fabian Gut lebendige Charaktere zeichneten. Zu Herzen gehend gelang die Mitwirkung des Chors, der in ausdrucksvoller Stimmvielfalt das Geschehen bis zur unabwendbaren Kreuzigung illustrierte.

Unvergesslich bleiben die erregt emotionalen Turba-Chöre, in denen die Volksseele regelrecht «kochte»: «Nicht diesen, sondern Barabam» (ein Mörder, den Pilatus anstelle von Jesus freilassen sollte), «Kreuzige, kreuzige» als zielgerichteter Schlachtruf des Mobs und schliesslich «Weg, weg mit dem …».

Wie in der griechischen Tragödie hatte Chorleiter Cslovjecsek Choräle beispielsweise auch von Johann Sebastian Bach eingefügt, die fast meditativ in Beteiligung von Chor und Zuhörenden dem Geschehen Gewicht verliehen. Der Einzug der Kantorei und ihr Verlassen der Kirche geschah mit dem Bittgesang «Da pacem, domine» (Gib uns Frieden, Herr).


Hinweis: Die vier Auftritte der Kantorei Solothurn fanden im April 2022 statt in Derendingen, Biberist, Oberdorf SO, und Solothurn statt; dieser Bericht erschien am 16.04.2022 in der Solothurner Zeitung.